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Brutal minimal: Brutalismus als böser Zwilling des Minimalismus?

Der Minimalismus erlebt einen Boom: Er inspiriert zu einem Lifestyle nach dem Motto “Less is More” und zu einer schlichten Lebens- und Wohnkultur.

Neben dieser beliebten, cleanen Ästhetik gibt es auch den Brutalismus, den rauen und dunklen Zwilling. Trotz der negativen Wahrnehmung ist der Brutalismus eigentlich gar nicht so ungewöhnlich oder abstoßend – und vor allem dem Minimalismus nicht ganz unähnlich.
30. JUNI 2023, 14:08 UHR AKTUALISIERT AM 10. JULI 2023, 17:07 UHR
Minimalismus und Brutalismus sind zwei Architektur-Stile, die als Gegensätze angesehen werden können – wobei der Brutalismus oft von Laien nicht mal als „Architektur“ erkannt wird. Häufig werden die massiven, grauen Gebäude einfach nur als hässliche Klötze im Stadtbild abgestempelt. Ganz anders beim Minimalismus: Mit den klaren Linien und der Einfachheit wird oft ein Gefühl der Ruhe, Eleganz und des Luxus assoziiert. Er ist mittlerweile nicht nur bei schicken Neubauten in der Stadt zu bestaunen, sondern hat auch Einzug in die Wohnräume vieler Menschen gehalten.
„Ich find’s einfach schön, das Cleane. Das wirkt immer sauber und ordentlich“
sagt Hannah M., deren Zimmer in monotonem Weiß gestaltet ist. „Viel Beton und große Klötze, wie die List-Schule, gefallen mir gar nicht, das sieht immer irgendwie dreckig und alt aus“, so die 19-Jährige. Die Friedrich-List-Schule im Zentrum Ulms lässt sich dem Brutalismus zuordnen und ist, wie schon treffend beschrieben, grau, klotzig und groß. Obwohl Brutalismus und Minimalismus so unterschiedlich wahrgenommen werden, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass sie jedoch mehr gemeinsam, als man vielleicht denkt.

Funktion statt Dekoration

Betrachtet man die Stilistik der Bauarten, haben Minimalismus und Brutalismus grundsätzlich einige Gemeinsamkeiten: Beide zeichnen sich durch Reduktion auf das Wesentliche, Klarheit und geometrische Formen aus. Man findet bei beiden Stilen wenig Schnickschnack oder Details, sondern präzise gesetzte Kanten und scharfe Linien. Auch bei den verwendeten Materialien und Formen sind die beiden Bauarten sich nah: Oft wirkt das Gebäude roh und der Schwerpunkt liegt auf Form sowie Funktionalität und nicht auf Dekoration.

Obwohl es viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Architekturstilen gibt, finden sich auch deutliche Unterschiede. Bemerkenswert ist demnach die Verarbeitung der Materialien: Bei minimalistischen Gebäuden ist beispielsweise die Außenfassade in einer, oft hellen, neutralen Farbe gestrichen, verkleidet oder sogar gänzlich verglast. Beim Brutalismus findet man hingegen kaum Farbe: Rohstoffe wie Beton werden belassen, wie sie sind – hier passiert nicht viel nach dem Guss. Deshalb wirken sie dunkel und trist, gegenteilig zu minimalistischen Gebäuden, die schon fast fragil und zart erscheinen.

Gründung und Beweggründe

Der Brutalismus erlebte seinen großen Boom in der Nachkriegszeit: In der Not brauchte mal viel Platz – für wenig Geld. Baumaterialien waren schwierig zu beschaffen, Beton die einfachste Lösung. Auf Schönheit wurde wenig geachtet, die Zweckmäßigkeit rechtfertigte das.

Der Name des Stils stammt aus dem französischen, béton brut, und kann mit „roher Beton“ übersetzt werden. Der deutsche Begriff Brutal hat zur Namensgebung also nichts beigetragen – passt aber überraschend gut.

Der Architekt Le Corbusier gilt weitverbreitet als Begründer des Brutalismus und schaffte mit der Unité d’Habitation in Marseille eines der ersten brutalistischen Bauwerke. Im Laufe der Jahrzehnte fand der Brutalismus immer mehr Betrachtung in der Szene und Bauten wie die Kirche Don Bosco oder der Hotelturm mit angeschlossenem Kongresszentrum in Augsburg wurden erreichtet. Der Minimalismus hingegen kommt nicht aus der Zweckmäßigkeit, sondern aus der Kunst – genauer gesagt aus den 20er Jahren. Hier beschäftigten sich Künstler wie Kazimir Malevich oder Piet Mondrian mit der Reduktion ihrer Werke – schnell wurde diese Phase zu einer Epoche und so immer weiter in die Welt getragen. Später bauten Architekten wie John Pawson oder David Chipperfield moderne Klassiker der Architekturszene im Minimalismus wie z. B. die Moritzkirche in Augsburg als auch das Literaturmuseum der Moderne in Marbach bei Stuttgart.

Obwohl Minimalismus und Brutalismus aus unterschiedlichen Beweggründen zustande kamen, könnte man sagen, dass sie sich trotzdem in die gleiche Bewegung, „Less Is More“, einordnen lassen.

Schwester statt Zwilling

Der Brutalismus ist lange nicht so bekannt wie sein Zwilling Minimalismus. Doch schaut man sich bewusst seine Umgebung an, bemerkt man sie – die Betongiganten. Und wenn man sie entdeckt, hinterlassen sie Eindruck. “Ich komme selbst aus Augsburg und bin mit dem Thema Architektur vertraut. Hier gibt es ein paar Gebäude die echt rausstechen, wie der Hotelturm zum Beispiel. Ich kann ihm aber nichts abgewinnen.”, so Sebastian M., Student.
“Ist halt einfach Beton, ohne viel Anderes”
Allerdings findet er auch, dass Brutalismus und Minimalismus sich nicht viel schenken – er halte von beidem nicht viel. Die kleinen Fachwerkhäuschen in der Altstadt gefallen ihm besser. Dennoch findet er, dass man Brutalismus und Minimalismus nicht als Gegenspieler bezeichnen kann, da sie so viel gemein haben. “Anstatt bösen Zwilling würde ich den Brutalismus eher als Schwester des Minimalismus bezeichnen, weil böse und schlecht ist da nichts dran.” fügt der 27-Jährige hinzu.

Am Schluss bleibt Architektur Kunst und Kunst muss nicht gefallen – sie soll aber etwas auslösen. Und das tut der Brutalismus auf jeden Fall.
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